20100424

Unüberwindliche Neigung zur Prostitution im Herzen des Menschen, der sein Abscheu vor der Einsamkeit entspringt. - Er will zwei sein. Der geniale Mensch will eins, also einsam sein.
Der Ruhm, das bedeutet, einer zu bleiben und sich dennoch auf eine besondere Weise zu prostituieren.
Und diesen Abscheu vor der Einsamkeit, dieses Bedürfnis, sein Ich im äußeren Fleisch zu vergessen, hat der Mensch mit dem edlen Namen des Bedürfnisses nach Liebe geschmückt.

aus: Charles Baudelaire - Mein entblößtes Herz, 36. Blatt
- Der Mensch trinkt das Licht mit der Atmosphäre. So hat das Volk recht, wenn es behauptet, die Nachtluft sei ungesund für die Arbeit.

aus: Charles Baudelaire - Raketen, 6. Blatt

20100418

"'Wir sind uns einmal im Leben so nahe gewesen, daß nichts unsere Freundschaft und Brüderschaft mehr zu hemmen schien und nur noch ein kleiner Steg zwischen uns war. Indem du ihn eben betreten wolltest, fragte ich dich: 'Willst du zu mir über den Steg?' - Aber da wolltest du nicht mehr; und als ich nochmals bat, schwiegst du. Seitdem sind Berge und reißende Ströme und was nur trennt und fremd macht, zwischen uns geworfen, und wenn wir auch zueinander wollten, wir könnten es nicht mehr! Gedenkst du aber jetzt jenes kleinen Steges, so hast du nicht Worte mehr - nur noch Schluchzen und Verwunderung.'"

aus: Irvin Yalom - Und Nietzsche weinte
Er reiste.
Er lernte die Schwermut der Schiffe kennen, das kalte Erwachen unter Zelten, die Betäubung von Landschaften und Ruinen, die Bitternis jäh zerrissener Zuneigungen.
Er kehrte wieder zurück.
Er ging unter Menschen, und er hatte noch andere Liebschaften. Aber die unaufhörliche Erinnerung an die erste machte sie ihm schal, und dann war auch die Heftigkeit der Sehnsucht, die eigentliche Erregung dahin. Auf gleiche Weise waren auch die ehrgeizigen Wünsche seines Geistes gering geworden.
Jahre gingen hin, und er ließ seinen Verstand in Müßiggang und sein Herz in Trägheit verharren.

aus: Gustave Flaubert - Die Erziehung des Herzens
In manchen Momenten hielt ich mich für unentbehrlich, in anderen für bloßes Beiwerk. Ich erlebte vertrauensvolle Augenblicke und traurige Stunden. Und es war notwendig, daß ich nicht wußte, was ich für Sie war, so wie es notwendig war, daß Sie nicht wußten, was Sie für mich waren. Der Zauber zwischen uns würde genauso lange andauern wie jene Unruhe in uns, die auf der Unkenntnis der Bilder fußte, die wir voneinander hatten.

aus: Marcelle Sauvageot - Fast ganz die Deine