20111220

Zuflucht

Nichts mehr
Du allein

Die Suche meiner Hand nachts
Nach Damaszener Seide
Deines Haars

Dein Wort
Das mich aufhebt von schwerer Nacht
Das mich trägt auf weißen Flügeln
In den Tag hinein

Die Gerüche
In deiner Küche Sonntag um Sonntag
In denen Basare wandern
Und engverschlungene
Gassen

Der Sommer
Der mich bewohnt mitten im Winter
Solang deine Haut meine Haut
Berührt

aus: A. Karasholi - Wenn Damaskus nicht wäre

20111211

Für die Rastlosen unter Euch,
die Fliehenden und Suchenden

aus: M. Obert - Balkanbeat

20111020

Ach wie soll ich dich beschreiben,
kannst wie ein Vogel nirgendwo bleiben,
du, mit dem Gesicht, schön wie Kristall.
Gern würd ich allen von dir erzählen,
immer wieder von dir schwärmen,
du, nach dem es mich verlangt.

aus: M. al-Tahawi - Das Zelt
"Nun, jeder lebt in seinem eigenen Schloss", sagte Maude, "aber das ist noch kein Grund, die Zugbrücke nicht mal herunterzulassen und auszugehen."
Harold lächelte. "Aber du stimmst mir darin zu, dass wir allein leben. Und wir sterben allein. Jeder in seiner eigenen Zelle."
Maude blickte über den Wald hinweg in die Ferne. "Wahrscheinlich. In gewissem Sinne. Deswegen müssen wir unsere Zellen so angenehm wie möglich einrichten - voll guter Bücher, warmer Kaminfeuer und Erinnerungen. Andererseits kannst du auch jederzeit über die Mauer springen und draußen unter den Sternen schlafen."

aus: C. Higgins - Harold und Maude

20110911

Ich versuchte mir die Unterschiede einmal anders auszudrücken; man muß doch schließlich nicht immer sagen: leben heißt denken und eine Einheit herstellen; man kann doch auch einmal sagen: leben heißt eitern können, denn Totes eitert nicht mhr. Und unsere Art zu denken ist doch schließlich nur eine, die häufigste Ablaufsform des psychischen Prozesses; es gibt andere, genau so gesetzmäßige und regelmäßige Abläufe, von denen sich garnichts anderes sagen läßt, als daß sie anders und vielleicht glücklicher sind als die unsern, z.B. bei der Gehirnerweichung. Und wie ich das so dachte, fiel mit einem Mal meine ganze Qual nach Wahrheit in mir nieder wie eine erloschene und zerbrochene Fackel und ich sah das Leben mit eine Mal so ungeheuer einfach und rauscherregend vor mir liegen: wie eine Dämmerung und einen Geruch aus Blumen und als den kurzen Halbschlaf zwischen den beiden lagen Schläfen: - Ich saß auf einer Bank am Meer und das Wasser war grau. Dann aber lag wie ein großer Schwan plötzlich etwas weiches Licht auf den Wellen, und vielleicht durch diesen Eindruck vollzog sich etwas oben im Zentral-Nervensystem; eine Molekularverschiebung, eine Strukturverbiegung, irgendetwas ganz flüchtiges trat ein: Das Gefühl einer plötzlichen, ruckartigen, hochschnellenden Liebe zum Leben, als ob ich auf dem Schafott begnadigt worden wäre. Aber es war etwas sehr Flüchtiges, das keinen Bestand hatte.

aus: G. Benn - Unter der Großhirnrinde

20110712

Was hab ich getan?
Die Nacht besamt, als könnt es
noch andere geben, nächtiger als
diese.

Vogelflug, Steinflug, tausend
beschriebene Bahnen. Blicke,
geraubt und gepflückt. Das Meer,
gekostet, vertrunken, verträumt. Eine Stunde,
seelenverfinstert. Die nächste, ein Herbstlicht,
dargebracht einem blinden
Gefühl, das des Wegs kam. Andere, viele,
ortlos und schwer aus sich selbst: erblickt und umgangen.
Findlinge, Sterne, schwarz und voll Sprache: benannt
nach gebrochenem Schwur.

Und einmal (wann? auch dies ist vergessen):
den Widerhaken gefühlt,
wo der Puls den Gegentakt wagte.


P. Celan - Allerseelen

20110418

"Mohn, pralle Form des Sommers", rief er, "Nabelhafter: Gruppierend Bauchiges. Dynamit des Dualismus: Hier steht der Farbenblinde, die Röte-Nacht. Ha, wie Du hinklirrst! Ins Feld gestürzt, Du Ausgezackter, Reiz-Felsen, ins Kraut geschwemmt, - und alle süßen Mittage, da mein Auge auf Dir schlief letzte stille Schlafe, treue Stunden - - An Deiner Narbe Blauschatten, an Deine Flatterglut gelehnt, gewärmt, getröstet, hingesunken an Deine Feuer: angeblüht!: nun dieser Mann -: auch Du! Auch Du! - - An meinen Randen spielend, in Sommersweite, all mein Gegenglück - und nun: wo bin ich nicht?"

...

Anfang und Ende, aber ich geschehe. Ich lebe auf dieser Insel und denke Zimtwälder. In mir durchwächst sich Wirkliches und Traum. Was blüht der Mohn, wenn er sich entrötet; der Knabe spricht, aber der psychische Komplex ist vorhanden, auch ohne ihn. -


aus: G. Benn - Die Insel

20110331

Solang du nach dem Glücke jagst,
Bist du nicht reif zum Glücklichsein
Und wäre alles Liebste dein.

Solang du um Verlornes klagst
Und Ziele hast und rastlos bist,
Weißt du noch nicht, was Friede ist.

Erst wenn du jedem Wunsch entsagst,
Nicht Ziel mehr noch Begehren kennst,
Das Glück nicht mehr mit Namen nennst,

Dann reicht dir des Geschehens Flut
Nicht mehr ans Herz, und deine Seele ruht.


H. Hesse - Glück
Es gibt so Schönes in der Welt,
Daran du nie dich satt erquickst
Und das dir immer Treue hält
Und das du immer neu erblickst:
Der Blick von einer Alpe Grat,
Am grünen Meer ein stiller Pfad,
Ein Bach, der über Felsen springt,
Ein Vogel, der im Dunkel singt,
Ein Kind, das noch im Traume lacht,
Ein Sterneglanz der Winternacht,
Ein Abendrot im klaren See
Bekränzt von Alm und Firneschnee,
Ein Lied am Straßenzaun erlauscht,
Ein Gruß mit Wanderern getauscht,
Ein Denken an die Kinderzeit,
Ein immer waches, zartes Leid,
Das nächtelang mit seinem Schmerz
Dir weitet das verengte Herz
Und über Sternen schön und bleich
Dir baut ein fernen Heimwehreich.


H. Hesse - Es gibt so Schönes

20110330

Waldteich, weicher in sich eingekehrter-,
draußen ringt das ganze Meer und braust,
aufgeregte Fernen drücken Schwerter
jedem Sturmstoß in die Faust-,
während du aus dunkler unversehrter Tiefe
Spiele der Libellen schaust.


R. M. Rilke

20110205

Lydia sagte einst: "Du bist so hübsch und siehst so heiter aus. Aber in deinen Augen innen ist keine Heiterkeit, da ist lauter Trauer; wie wenn deine Augen wüßten, daß es kein Glück gibt und daß alles Schöne und Geliebte nicht lange bei uns bleibt. Du hast die schönsten Augen, die es geben kann und die traurigsten. Ich glaube, das ist, weil du heimatlos bist. Du bist aus den Wäldern zu mir gekommen, und einmal wirst du wieder fortgehen und auf Moos schlafen und wandern. - (...)"


aus: H. Hesse - Narziß und Goldmund