20100309

Das Mädchen Einsamkeit

Du kamst mit mir herauf.
Ich öffnete dein Kleid.
Ich weiß nicht, wie du heißt.
Ich nenn dich "Einsamkeit".
Nun liegst du da und frierst.
Ich streichle deine Haut.
Du sagst kein Wort, du weinst.
Der Morgen graut.

Zum Dschungel wird der Traum um diese Zeit.
Im Zimmer wuchern Farnkraut und Liane.
Seltsame Tiere schreien nah und weit,
und aus den Uhren kriechen Leguane.

Wir liegen eingerollt
und schlafen endlich ein:
Zwei Tiere wärmen sich
und sind erst recht allein.
Die Lust ist schnell verglüht.
Du nahmst sie ohne Wort.
Nun bin ich aufgewacht,
und du bist fort.

Du gingst so stumm, wie du gekommen bist.
Der Regen schüttelt daußen die Platane.
Ich kann nur warten - gleich, wie spät es ist.
Und aus den Uhren kriechen Leguane.

Im allzu dünnen Kleid
suchst du, was es nicht gibt.
Doch meine Einsamkeit
hat deine fast geliebt.
Im Zigarettenrauch
ercheint mir dein Gesicht.
Hätt´st du das Wort gesagt -
du sprachst es nicht.

Am Fenster wächst ein anderer Dschungel dicht
aus weißem Farn - Eisblumenfiligrane.
Du kommst nicht wieder - und ich warte nicht.
Und aus den Uhren kriechen Leguane.

aus: Michael Ende - Trödelmarkt der Träume